Massierung auf engstem Raum und Ghettobildung: Die Menschenwürde nach Bürgermeister Vennemeyer
Die Stadt Greven sorgt vor: Sie kann in diesem Jahr nach einem Bericht der Lokalpresse bis zu 750 weitere Flüchtlinge unterbringen – im Gewerbegebiet an der Mergenthaler Straße.
Gewiss kann die Stadtverwaltung nicht zaubern, und die Zahl der in diesem Jahr kommenden Flüchtlinge ist ungewiss. Aber vielleicht lässt sich an dieser Art der Unterbringung erkennen, wie Bürgermeister Vennemeyer den Begriff der Menschenwürde in der Praxis konkretisiert: Massierung auf engstem Raum, Ghettobildung weit weg vom nächsten Wohngebiet und den Versorgungsmöglichkeiten der Stadt. Ist das die Achtung vor der Würde des Menschen, die die Stadtoberen in einem offenen Brief kurz vor Weihnachten so lautstark für sich reklamiert haben?
Zeigt sich daran nicht wie so oft die Diskrepanz zwischen plakativem Schwadronieren und tatsächlichem Verhalten? Steckt vielleicht eine Form von zynischem Relativieren dahinter, dass die Massenunterkunft im Gewerbegebiet ja noch immer viel besser sei als jene schrecklichen Behausungen, die Syrer, Afghanen, Iraker usw auf ihrem Fluchtweg hierher erdulden mussten?
Wie weit hergeholt die Berufung auf die Würde des Menschen in Wirklichkeit ist, zeigt sich vielleicht am besten daran, welche Begründung die Stadt Greven für die Auswahl der Mergenthaler Straße gibt: Sie habe das Grundstück preiswert erwerben können! Schon einmal hat der unüberlegte Kauf von Grundstücken die Stadt Greven fast zum finanziellen Kollaps geführt. Dieses Mal könnten die Folgen noch einschneidender sein.
Wo ist der Aufschrei der Lokalpresse?
Eine kritische Berichterstattung der Grevener Lokalpresse sucht man dazu vergebens. Die Zeiten, in denen wenigstens eine der beiden Zeitungen ab und zu signalisierte, dass sie sich nicht vom Grevener Klüngel vereinnahmen ließ, sind längst vorbei seit der Zwangsverheiratung mit der Lokalredaktion des anderen Blattes. Es würde den Machern der Zeitung gut anstehen, einen Ideenwettbewerb auszurufen, um zusammen mit ihren Lesern nach besseren Unterbringungsmöglichkeiten zu suchen. Wenn schon die Stadt Greven das Gespräch mit den Bürgern immer erst dann sucht, wenn die Entscheidungen bereits gefallen sind, wäre es Aufgabe der Presse, dies vorher in die Wege zu leiten. Oder taugt das Thema nicht zur Selbstinszenierung?
Wo ist der Aufschrei der kirchlichen Flüchtlingshilfe?
Wo ist der Aufschrei jener, die sich so oft als die Speerspitze der Grevener Flüchtlingshilfe präsentieren? Durch sogenannte Kunstaktionen wird die Willkommenskultur der Stadt Greven zwar zum Plakat erhoben – an der Willkommensrealität, die Flüchtlinge bei uns erfahren müssen, ändert sich damit aber nichts. Der Takt gebietet es jedenfalls, die geplanten 100 Willkommenskunstwerke möglichst weit weg von der Mergenthaler Straße aufzustellen.
Und wo ist der Aufschrei derjenigen, die sich in der sogenannten Steuerungsgruppe der Grevener Flüchtlingshilfe zusammen geschlossen haben? Trauen sie sich nicht, gegen die Pläne der Stadt Greven ihre Stimme zu erheben, weil sie nicht mehr unabhängig in ihrem Urteil sind, seitdem sie der Stadtverwaltung den Vorsitz in der „Steuerungsgruppe“ überlassen haben? Und: Was steuern sie eigentlich? In Greven gibt es zwar eine Vielzahl von engagierten Helfern zugunsten von Flüchtlingen – eine schlagkräftige Organisation der Flüchtlingshilfe, die von der Stadt Greven die Einhaltung von Mindest-Standards einfordern könnte, gibt es aber nicht.
Wo ist der Aufschrei der Kirchen und der muslimischen Gemeinde?
Und wo ist der Aufschrei der beiden Kirchen in Greven und der muslimischen Gemeinde? Gehörten sie nicht auch zu den Mitunterzeichnern des offenen Briefes, der das Hohelied von der Würde des Menschen gesungen hat? Sollten evangelische und katholische Kirche, die im Gegensatz zu den Muslimen mit erheblichen Mitteln vom Steuerzahler subventioniert werden, nicht noch einmal jene Texte durchlesen (nur zum eigenen Gebrauch!), die sie zu Weihnachten auf den Kanzeln verkündet haben? Und welche Angebote hat die katholische Kirche als größter Immobilienbesitzer Deutschlands bisher gemacht? Bleibt es in Greven dabei, dass sie im Namen der Nächstenliebe nicht mehr als ein einziges Grundstück für einen befristeten Zeitraum zur Verfügung stellen kann? Ist die Verklüngelung von Stadt und Kirche so weit fortgeschritten, dass die Kritik an Plänen der Stadtverwaltung nur mehr als kleine Frotzelei in Karnevalssitzungen vorgetragen werden kann?
Wo ist der Aufschrei der politischen Parteien?
Wo ist der Aufschrei und Gestaltungswille der politischen Parteien? Reicht es ihnen, wenn ihre Senioren-Stammtische hin und wieder einen Vortrag zur Flüchtlingsthematik auf dem Programm haben? Oder wären nicht gerade sie dazu berufen, der Exekutive mit auf den Weg zu geben, dass Integration nur dann gelingen kann, wenn die Migranten nicht ausgegrenzt werden? Müssen sie wieder zunächst einen Sachverständigen bestellen, der ihnen plausibel macht, dass Investitionen zugunsten von Flüchtlingen langfristig eine gute Geldanlage sind?
Wo ist der Aufschrei von Caritas und Integrationsagentur?
Wo ist der Aufschrei von gemeinnützigen Organisationen wie beispielsweise der Caritas? Wo ist der Aufschrei der Integrationsagentur in Greven, die wissen muss, dass die Pläne der Stadtverwaltung die Integration der Flüchtlinge für Monate oder Jahre verzögert oder verhindert? Sind sie so sprachlos, weil sie weitgehend vom Staat finanziert werden und darauf achten müssen, dass sich daran nichts ändert? Wo ist der Aufschrei des Grevener Wirtschaftsforums, das auch zu den Mitunterzeichnern des offenen Briefes gehörte? Wissen sie nicht, dass Ghettoisierung und Abschottung vor den Möglichkeiten und Angeboten einer Stadt ein schlechter Nährboden für die Arbeitsmotivation sind.
Wo ist der Aufschrei jedes einzelnen Grevener Bürgers?
Und wo schließlich ist der Aufschrei jedes einzelnen Grevener Bürgers, der wissen muss, dass mit der Massenunterkunft im Gewerbegebiet der Grundstein für die Probleme von morgen gelegt wird – auch für ihn ganz persönlich. Ist das wirklich nur der „Tafelmutter“ Ingrid Koling aufgefallen, die in einem Leserbrief vom 19.01.2016 alle Bürger aufgefordert hat, gegen die Unterbringung von Flüchtlingen an der Mergenthaler Straße beim Bürgermeister zu protestieren? Weil der Weg bis zur Innenstadt für Familien mit Kindern schlichtweg unzumutbar sei. Frau Koling zieht einen Vergleich zur Auslagerung von Kriegsgefangenen nach dem zweiten Weltkrieg und stellt die berechtigte Frage: „Wollen wir wirklich so mit Menschen verfahren, die bei uns Schutz und Hilfe suchen?“